Wednesday, September 12, 2012

Was denkt China?

Auf einer Studienreise des European Council for Foreign Relations im September nach China, stellten wir chinesischen Experten und Praktikern aus der Wirtschaft, Politik, Medien und der Zivilgesellschaft die Frage: Was denkt das neue China. Natürlich haben wir keine einfache, eindimensionale Antwort erwartet, trotzdem waren wir überrascht von der Vielfalt der konkurrierende Strömungen innerhalb der Gesellschaft und in der Partei, die in ihrer Pluralität und Offenheit erstaunlich sind. Trotz sichtbarer gesellschaftlicher Erfolge mit einhergehendem immens gestiegenem Selbstbewusstsein gibt es eine tieferliegende Unruhe in der Führung und der Gesellschaft, eine Erwartung, dass der bevorstehende Führungswechsel im Oktober mehr als eine geradlinige Kontinuität der letzten 10 Jahre ist. Von außen betrachtet ist China eine einzigartige ökonomische Erfolgsgeschichte, die noch lange nicht zu Ende geschrieben scheint. Im Inneren toben Schlachten darum, wie die nächste Phase, Sozialismus 3.0., aussehen soll. Ökonomisch steht China sehr gut da und auch die pessimistischeren Schätzungen gehen nur von einer Abschwächung des Wirtschaftswachstums auf durchschnittlich 7% über die nächsten 10 Jahre aus. Spätestens 2025 wird China die größte Weltwirtschaft sein (aber auch der größte Green Investor). China muss sein Wachstumsmodell überdenken. Auch wenn sich die Krise in Europa und den USA schon jetzt negativ auf die Exportergebnisse Chinas auswirkt, hat China mit seinen geschätzten 3 Billionen $ Devisenreserven noch genügend Spielraum, um die eigene Wirtschaft mittelfristig über ein paar Durststrecken zu bringen. Nach 30 Jahren wirtschaftlicher Reformen und historisch einzigartigen Aufschwungs ist die nächste große Herausforderung der Umbau Chinas in einen Sozialstaat. Die Bevölkerung hat Big Expectations, aber Erwartungen steigen noch schneller als die wirtschaftliche Entwicklung. Bisher hat man sozialen Frieden mit quantitativem Wachstum und steigendem materiellem Wohlstand ‚erkauft‘. Dieser Weg scheint jetzt erschöpft, da sich die Nebeneffekte einer immer ungleicheren Gesellschaft und einer fühlbaren Umweltzerstörung zunehmend destabilisierend auf das ganze System auswirken. In fast allen Gesprächen wurde die stark wachsende Schere zwischen arm und reich angesprochen, die sich in einem Gini Koeffizient von 0,5 ausdrückt, eine ähnlich starke Polarisierung wie in den USA. Gekoppelt mit einer systemimmanenten Korruption und einer (trotz Zensur) breiten öffentlichen Debatte im Internet, ist die soziale Ungleichheit in China jetzt die größte Herausforderung an die chinesische Führung. Ob China noch sozialistisch ist, scheint eher eine Diskussion unter Intelektuellen zu sein. Zutreffend schien mir die Beschreibung der chinesischen Führung seit Deng Xiaoning als ‚Experimental Pragmatists‘. Sie experimentieren mit verschiedenen Modellen und reagieren pragmatisch auf Krisen, um diese im besten Fall in Vorteile zu verwandeln. Erst im Nachhinein wird dann (oft von außerhalb zusammengefasst) eine Strategie daraus. Ist das noch Chinesisch oder schon Merkel? In den Diskussionen zu Chinas Rolle in der Welt wird deutlich, dass Chinas Selbstverständnis und Selbstbewusstsein jetzt durchaus das einer ‚Superpower‘ ist. Bei einigen Gesprächspartnern schlug sich das in einem mehr als gesunden Nationalismus nieder. Aber China ist noch ein Lehrling in ‚How to be a Superpower‘. Als einzig relevanten Akteur in derselben Gewichtsklasse sieht man die USA. Dabei spricht man selten über G2 , da dies als gemeinsame Dominanz der Welt mit den USA interpretiert wird, was man nicht will. Bisher ist China weiter ein Verfechter einer multipolaren Welt, welche aber Chinas zunehmende Bedeutung anerkennen sollte. Europa hat in den letzten 3 Jahren spürbar an Relevanz verloren. Einen großen Anteil daran hat natürlich die Krise in Europa, aber noch entscheidender scheint mir der Wettbewerb der EU Staaten untereinander um die Gunst Chinas. Das macht es für China einfach, die EU Länder gegeneinander auszuspielen, wie gerade wieder Großbritannien in der Tibet Frage. Wenn die Rede auf Europa kommt, wird oft gleich über die Special Relationship zwischen China und Deutschland gesprochen und das deutsche Modell gepriesen. Fast wurde Europa mit Deutschland gleichgesetzt. Frau Merkel war jetzt schon 20 Mal in China, mehr als jeder andere aktive europäische Politiker und auch dadurch hat sich eine fast vertrauensvolle Beziehung entwickelt. Da fällt es umso mehr auf, dass Frau Merkel während ihres Empfangs anlässlich ihres Besuches im September Europa in ihrer Rede nicht einmal erwähnt hat. China ist sich bewusst, dass seine Position als Superpower vor allem auf seiner Hard Power –Wirtschaft, Population, Militär- beruht. Die Softpower Chinas wird trotz Olympiade und wachsendem Netzwerk von Konfuzius Instituten als gering eingeschätzt. Nach dem langen Marsch der Ökonomisierung Chinas stellt sich jetzt öfter die Frage, was außer den materiellen den die Werte der chinesischen Gesellschaft sind. Hier gesteht man vor allem den USA einen riesigen Vorsprung zu. In China selbst ist die Softpower der USA bis in die Führung hinein präsent, denn 50% der Kinder von Politbüro Mitgliedern studieren in den USA. Und bei der jungen Generation ist die USA „sexy wie Lady Gaga“. Europa hat auch noch beträchtliche Softpower, vor allem jedoch unter den Älteren und Intelektuellen. Für mich war die größte Überraschung die enorme Bedeutung des Internets und der Social Media in China, die zu einem echten Transformationsfaktor geworden sind. Es gab kaum ein Gespräch, in dem nicht der Weibo Effekt erwähnt wurde. Weibo ist die rapide wachsende chinesische Variante von Twitter mit z.Z. ca. 350 Mill. Nutzern. Weibo ist in gewisser Weise ein Abbild der chinesischen Gesellschaft mit einer überraschend freien Öffentlichkeit und Meinungsbildung. Ursprünglich von der chinesischen Führung als Gefahr gesehen, hat diese Möglichkeiten gefunden, Weibo zu zensieren und zu moderieren, es aber noch so frei zu halten, dass es eine gewisse Ventilfunktion in der Gesellschaft erfüllt. Gleichzeitig wird Weibo von der Führung genutzt, um kritische Entwicklungen rechtzeitig zu orten und dann darauf zu reagieren. In der jetzigen Form ist Weibo etwas zwischen virtueller Zivilgesellschaft und Big Brother. Kann man davon etwas lernen? Ich denke schon. Trotz der großen internen Herausforderungen und Unruhe wird China das 21. Jahrhundert maßgeblich gestalten. Wenn wir nicht nur dabei zusehen wollen, müssen wir Europäer stärker gemeinsam unsere Interessen vertreten. Deutschland hat in China ein positives Image und sollte dies noch entschiedener einsetzen, um europäische Interessen abzustimmen und gemeinsam durchzusetzen. Dann können wir Europäer neben China ganz vorne in der Welt Liga mitspielen. Als einzelne Staaten sind wir nur Oberliga. Und wir haben gar nicht so schlechte Karten- wir haben ein homogenes Wertesystem, gewachsenen Softpower und ein gut funktionierenden Sozialstaat. Jetzt wo sich China verstärkt gerade in diese Richtung entwickeln will, müssen wir in Europa aufpassen, dass wir unsere Werte, den Sozialstaat und die damit verbundenen Softpower nicht in der derzeitigen Krisendynamik selber untergraben, zurückfahren oder kaputt sparen. China hat es insbesondere seit der großen Finanzkrise des Westens erfolgreich verstanden, Krisen in neue Möglichkeiten zu verwandeln. Ohne gleich das chinesische Model des experimentellen Pragmatisten zu übernehmen, würde uns Europäern eine Prise pragmatischen Optimismus gerade jetzt sehr gut tun. Dies ist ein Beitrag im Rahmen des ECFR Projektes "What does the new China think". Den spannenden ECFR Bericht "China 3.0" kann man hier finden: http://ecfr.eu/content/entry/china_3.0

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