Tuesday, August 20, 2013

Die Krise und die europäische Öffentlichkeit

 
Meine These ist, dass die gegenwärtige Krise ein Katalysator für die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit ist und das die nationalen europäischen Medien auch ihren Beitrag dazu geleistet haben. Diese Entwicklung wird durch zwei weitere Katalysatoren vorangetrieben: der revolutionäre Umbruch der Medienbranche und  durch neue Technologien.  Damit diese Katalysatoren tatsächlich eine europäische Öffentlichkeit im Habermaschen Sinne  schaffen, bedarf es noch einer echten Europäisierung von Policy und Politics.  Eine außerordentliche Gelegenheit dafür bietet die Europawahl nächstes Jahr.

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Laut Habermas ist Öffentlichkeit ein „Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen, also von Meinungen; dabei werden die Kommunikationsflüsse so gefiltert und synthetisiert, dass sie sich zu themenspezifisch gebündelten öffentlichen Meinungen verdichten.“
Medien sind wichtigen Relaisstationen zur Bildung von Öffentlichkeit (Gerhards/Neidhardt), deren zentrale Funktion in der Ermöglichung von Selbstbeobachtung der Gesellschaft besteht.
Was auf nationale Ebene(trotz, und wegen ständiger neuer Herausforderungen)  im großen Ganzen funktioniert, wird auf europäischer Ebene bisher als utopisch abgetan. 
 
Aber hat nicht die Realität diese skeptische Betrachtung schon überholt?  
Ich denke ja, und glaube wir durchleben gerade eine Hoch-Zeit der Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit.
Aber halten wir erst mal fest: eine gewisse europäische Öffentlichkeit gibt es schon.  Es gibt sie in den Netzwerken von Kultur, Kunst, Sport, Film, Pop Music, Mode und natürlich Wirtschaft, oft schon als Teil einer globalen Öffentlichkeit. Man denke nur an die Champions League, den Eurovision Song Contest, die Venice Bienale, die Berlinale, die Milan Fashion Show und natürlich alle die tagtäglichen Wirtschafts-und Handelsverbindungen, europäischen Firmenzusammenschlüssen und der Wettbewerb um europäische Marktanteile.  Und die Medien agieren in diesen Bereichen auch schon als die oben genannten Relaisstationen. Beispiel sind die FT und der Economist, aber vor allem auch die große Anzahl von Fachmedien, die als eine Art Franchise, sozusagen im Großeinkauf Inhalte produzieren und diese dann auf die nationalen Märkte und in nationalen Sprachen vertreiben, wie z.B. Vogue, Elle, Helo, Playboy, Comics, Computer Magazine. Wie groß der Einfluss dieser Medien auf die Bildung einer europäischen Öffentlichkeit ist, kann man schwer schätzen, aber in jedem Fall ist er z.Z. im Entertainment und Business Bereich größer als in der Politik.
Obwohl die Schaffung der EU eines der kreativsten und erfolgreichsten Politikprojekte überhaupt war, hatte Politik in den letzten 60 Jahren kaum einen Beitrag zur Bildung einer europäischen Öffentlichkeit geleistet. Europa war erfolgreich und langweilig.

Aber in den letzten vier Jahren war Europa für einen Großteil der Titelgeschichten in europäischen Medien verantwortlich. Grund war nicht die 60ig jährige Friedens- und Wohlstandsgeschichte, sondern die schwere ökonomische und Identitätskrise der letzten Jahre. Wie schwierig und ‚messy‘ die Krisenbewältigung bisher auch immer war (und es sicher noch nicht vorbei), sie hatte einen positiven Nebeneffekt; Die Krise war und ist ein Katalysator für die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit im Habermaschen Sinne.

Die Krise hat fast ganz Europa gleichzeitig erfasst und durch die europäische Währungsunion sind die Mitgliedstaaten gezwungen, gemeinsame Lösungen zu finden.  Das führt dazu, dass die selben Themen zeitgleich in Europa diskutiert werden, dass sich Kommunikationsflüsse bilden, synthetisiert werden und sich themenspezifisch gebündelte öffentliche Meinungen bilden (also genau das was Habermas als Öffentlichkeit beschreibt), zu Themen wie Austerität, Jugendarbeitslosigkeit, Steueroasen, Bankerboni und Datensicherheit. Das ist nicht immer nett, aber es sind echte Debatten mit kontroversen und starken Meinungen von echten Personen, nicht nur Propaganda für oder gegen Europa.
Zugegeben, noch werden diese Themen großenteils in nationalen Medien und Sprachen diskutiert, aber die Themensetzung und Argumentation laufen parallel und je nach politischer Ausrichtung auch ähnlich und koordiniert. Wir sollten diese nationale Debatten über europäische Politik begrüßen als Zwischenschritt zu einer sich entwickelnden supranationalen europäischen Öffentlichkeit.

Denn, neben der Krise gibt es noch zwei Katalysatoren, die eine europäische Öffentlichkeit fördern: der Umbruch der Medienbranche und neue Technologien.
Die Medien spielen schon jetzt eine wichtige Rolle als Relaistationen einer sich entwickelnden europäischen Öffentlichkeit (siehe oben). Die Ist-Situation ist aber hier weniger relevant als das was sich gerade entwickelt.  Die Medienbranche befindet sich in einem revolutionären wirtschaftlichen und technologischen Umbruch und es ist dieser Umbruch, der ein weiterer Katalysator für eine neue europäische Öffentlichkeit sein wird.

Alte und neue Medienhäuser suchen und testen neue Geschäftsmodellen um im Internetzeitalter mit Medieninhalten Geld zu verdienen. Sicher ist, dass Papier und die dazugehörigen Vertriebswege/kosten kaum noch eine Rolle spielen werden. Neben Paywalls, effektiver Online Werbung, Data Harvesting und Kuratierung von Nutzer-generierten Inhalten ist die Erschließung neuer geographischer Märkte eine Option, nicht zuletzt weil die Druck- und Vertriebskosten fast wegfallen. Europa als supranationaler Medienmarkt wird immer relevanter, und warum auch nicht. Deshalb wird die Suche nach der Erschließung des europäischen Medienmarktes zu einem Katalysator für die europäische Öffentlichkeit werden.
Bisher haben Versuche europäische Medien zu etablieren auch deshalb nicht funktioniert, weil es noch eine Sprachbarriere beim Medienkonsum gibt. Englisch funktioniert als Mediensprache, aber nur für eine kleine Gruppe von Medienkonsumenten. Das Sprachproblem wird aber in den nächsten Jahren irrelevant werden da neue Technologien eine sofortige Qualitätsübersetzung von Medieninhalten möglich macht. Schon jetzt kann man mit Google Translate Webinhalte in anderen Sprachen gut lesen. Bald wird  jeder auch die FAZ in Spanisch oder English lesen können. Oder aber neue europäische Medien, die sofort pan-europäisch konzipiert, kuratiert und vertrieben werden, online und in deiner Sprache. Der Umbruch in der Medienlandschaft und neue Technologien können europäische Medienformate schaffen, die mit Habermas, themenspezifisch gebündelten öffentlichen Meinungen verdichten‘.

Bei Medien und Technologie kann man optimistisch sein, hier werden sich der Markt und die Kreativität durchsetzen.
Bei der Politik, müssen wir dran bleiben, weil die Krise irgendwann vorbei sein und Europa als Krisenthema hoffentlich von den Titelseiten verschwinden wird. Aber die uns verbindenden Themen werden bleiben, ob europäische Wirtschaftsregierung, Budgethoheit des Parlaments oder europäische Steuern auf Finanztransaktionen.
Die nächsten 9 Monate bis zur Europawahl im Mai 2014 bieten dafür eine entscheidende Chance. Voraussetzung dafür ist, dass die Parteien echte europäische Wahlkämpfe führen mit Spitzenkandidaten und klaren politischen Forderungen, die nur auf europäischer Ebene umgesetzt werden können. Die Parteien, die dann die Wahlen gewonnen haben müssen den neuen Kommissionspräsidenten stellen und dessen Kabinett; genauso, wie es in einer parlamentarischen Demokratie eigentlich die Norm ist. Eine Politisierung und Demokratisierung der Europawahl ist die Voraussetzung dafür, dass die Wahlen überhaupt von den Bürgern ernst genommen werden.  Wenn der Bürger aber tatsächlich entscheiden kann, wer die europäische Regierung stellt,  wird europäische Politik spannend, für die Bürger aber auch gerade für die Politiker.

Sollten die Europawahlen nicht den beschriebenen Effekt einer europäischen politischen Öffentlichkeit haben und sollte die Krise vielleicht bald zu Ende gehender,  müssen wir die europäische Öffentlichkeit weiter über Fußball, Pop, Film und Playboy bauen.


P.S. Dies ist mein Redebeitrag auf dem Alpbach Forum 2013, der auch Basis für einen kürzere Artikel im European ist http://de.theeuropean.eu/andre-wilkens--3/7854-europaeische-oeffentlichkeit-in-der-bluetezeit