Wednesday, May 25, 2011

Der nächste IWF Chef sollte ein Europäer aus einem Schwellenland sein

2011 ist voller Ereignisse und Krisen, die Politikern permanent schnelle Entscheidungen abringen. Seit ein paar Tagen geht es um die vorzeitige Nachfolge von Dominique Strauss-Kahn als Chef des Internationalen Währungsfonds, die eigentlich erst in ein paar Monaten anstand. Jetzt gilt es, schnell zu handeln, und dabei zeigt sich wieder einmal, dass die Europäer es einfach nicht schaffen, von alten, überholten Vorrechten zu lassen und geopolitisch zukunftsfähig zu handeln.

Zumindest scheint Europa in dieser Sache relativ schnell eine gemeinsame Position gefunden zu haben: Komme, was wolle, es muss jemand aus der Europäischen Union sein. Auch Frankreich ist wieder ganz vorn im Rennen. Aber ist es die richtige gemeinsame Position? Und werden zurzeit nicht die besten Finanzköpfe in der EU gerade jetzt und hier zur Meisterung der Eurokrise gebraucht? Die gegenwärtige französische Finanzmintserin Christine Lagarde ist zweifelslos eine gute Kandidatin für den IWF-Chefposten, aber ihr Einsatz ist jetzt in Paris und Brüssel dringend notwendig.

Leider hat auch die deutsche Politik bisher hier eine Möglichkeit verpasst, neue Akzente zu setzen und politische Berechenbarkeit zu beweisen hatte Angela Merkel doch noch im April 2009 erklärt, dass der nächste IWF-Chef nicht mehr nach überholten Denkmustern des 20. Jahrhunderts ausgewählt werden würde, sondern nur auf Grundlage von Offenheit, Transparenz und Eignung. Wurden diese drei Kriterien in den letzten Tagen angewendet?

Dabei ist die Wahl des nächsten IWF-Chefs eine Möglichkeit für Deutschland und Europa, außenpolitisch zu zeigen, dass es wirklich im 21. Jahrhundert angekommen ist, dass es gemeinsam und auch über die Grenzen der Europäischen Union hinaus denken kann und zugleich geopolitisch clever handelt.

All dies hätte erreicht werden können, indem Angela Merkel einen Europäer aus dem boomenden Schwellenland Türkei empfohken hätte, dessen Mutter auch noch aus Berlin stammt. Merkels Wunschkandidat für den IWF-Chefposten sollte Kemal Dervis heißen.
Dabei ist das Signal, das Merkel mit einem solchen Vorschlag gesendet hätte, fast noch wichtiger als das Ergebnis am Ende. Immerhin haben diesmal Länder wie Indien, Mexiko, Südafrika ihre eigenen starken Kandidaten ins Rennen geschickt und es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Schwellenländer sich diesmal auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen. Und dann müssen noch die 187 Mitglieder des Internationalen Währungsfonds zustimmen.

Die Unterstützung einer Kandidatur von Kemal Dervis zum IWF-Direktor durch Angela Merkel hätte mindestens vier wichtige Signale beinhaltet:

1. Angela Merkel ist international eine verlässliche Politikerin, die tut, was sie sagt. Sie steht zu ihrem Wort vom April 2009, dass für internationale Top Jobs die am besten Geeigneten in einem offenen und transparenten Verfahren ausgewählt werden sollen. Gleichzeitig würde sie mit der Empfehlung einer Kandidatur von Dervis ihren Aussagen vom Montag nicht widersprechen, dass der IWF-Posten an einen Europäer gehen muss.

2. Gerade auch zur Bewältigung der Eurokrise brauchen wir auf dem IWF-Posten höchste Kompetenz plus Erfahrung im Krisenmanagement. Kemal Dervis ist einer der Besten. Er hat Ökonomie in London studiert und in Princton promoviert, er hatjahrzehntelange internationale Finanzerfahrung wie kaum ein anderer, er war lange bei der Weltbank und er war Chef der weltweit größten Entwicklungsorganisation UNDP. Als Krisenmanager hat er sich insbesondere während der türkischen Finanzkrise 2001/02 als Finanzminister einen Ruf gemacht. Für viele ist er seitdem der Architekt des türkischen Wirtschaftswunders, sozusagen der Ludwig Erhard der Türkei. In seiner jetzigen Funktion als Vizepräsident der Brookings Institution wird Dervis schon jetzt von Griechenland und Spanien zu Rate gezogen, um mit den dortigen Entscheidungsträgern und Akademikern die gegenwärtigen finanz- und wirtschaftspolitischen Herausforderungen zu analysieren und praktische Schritte vorzuschlagen. Dervis ist ein Weltbürger, spricht hervorragend Französisch, Deutsch, Englisch und natürlich Türkisch und ist bestens in der globalen Politik vernetzt. Auch dies ist nicht unwichtig, wenn man die Unterstützung von Regierungschefs wie Obama, Sarkozy, Merkel und Erdogan braucht. Durch seine jetzige Arbeit mit der griechischen Regierung kann er auf offene Ohren in Athen zählen, auch das ein nicht zu unterschätzendes Plus.

3. Die Unterstützung eines türkischen Kandidaten durch Angela Merkel und die Europäische Union für den derzeit wichtigsten internationalen Posten würde den deutsch/europäisch-türkischen Beziehungen eine wünschenswerte und längst überfällige neue Dynamik verleihen, gerade wenn Merkel Dervis als Europäer aus einem Schwellenland präsentiert. Das Signal wäre klar: Die Türkei gehört zu Europa, unabhängig von den laufenden Verhandlungen über einen möglichen EU-Beitritt. Die Wirkung wäre sowohl in der Türkei als auch in Europa und in Deutschland zu spüren.

4. Angela Merkel könnte mit diesem Vorschlag der europäischen Diskussion um dieses Thema eine positive Note geben. Gerade jetzt wäre ein kluger Beitrag aus Deutschland im Europadiskurs wünschenswert. Und dieser Beitrag würde zeigen, den Deutschen geht es um die Sache. Angela Merkel sollte sich jetzt inhaltlich darauf konzentrieren, einen klugen europäischen Konsens in dieser Frage zu erreichen.

Aber auch unabhängig von taktischen Gesichtspunkten ist Kemal Dervis sicher einer der besten Kandidaten für den IWF-Chefsessel. Und einen der besten braucht Europa gerade jetzt als Partner in der Eurokrise. Und wäre es nicht wunderbar, wenn gerade ein Türke mit einer Mutter aus Berlin Europa aus einer seiner tiefsten Krisen helfen würde?

P.S. Dies ist eine editierte Version meines Artikels, der in der Süddeutsche Zeitung als Aussenansicht am 21.5. erschienen ist.

Kemal Dervis hat sich in der Zwischenzeit freiwillig aus dem Rennen um den IMF Posten zurückgezogen. Aber unabhängig von Kemal's eigener Entscheidung, die Message des Artikels bleibt bestehen:
• die EU soll sich nicht an überholten Vorrechten festhalten,
• gerade jetzt brauchen wir den besten Kopf für diesen z.Z. wichtigsten internationalen Job und da ist es zweitrangig wo dieser herkommt.
• wenn die EU geopolitisch clever denkt, kann sie mit einer Unterstützung eines Kandidaten aus einem Schwellenlandes viel politisch Kapital gewinnen. Umgedreht, wird die EU mit dem erneuten rabiaten Durchsetzen eines eigenen EU Kandidaten viel Porzellan zerschlagen
• Hätte die EU sich gleich für Dervis stark gemacht, unabhängig von seiner eigenen Entscheidung jetzt, hätte man viel Gutes für die deutsch/europäisch-türkischen Beziehungen tun und diesen eine neue Dynamik geben können.

Und vielleicht kann ihn ja Angela Merkel überzeugen, wenn sie ihm anbieten kann, dass sich die ganze EU hinter ihn stellt. Nichts ist unmöglich.

Andre Wilkens