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Laut Habermas ist Öffentlichkeit ein
„Netzwerk für die Kommunikation von Inhalten und Stellungnahmen, also von Meinungen; dabei werden die
Kommunikationsflüsse so gefiltert und synthetisiert, dass sie sich zu
themenspezifisch gebündelten öffentlichen Meinungen
verdichten.“
Medien sind wichtigen Relaisstationen zur Bildung von
Öffentlichkeit (Gerhards/Neidhardt), deren zentrale Funktion in der
Ermöglichung von Selbstbeobachtung der Gesellschaft besteht. Was auf nationale Ebene(trotz, und wegen ständiger neuer Herausforderungen) im großen Ganzen funktioniert, wird auf europäischer Ebene bisher als utopisch abgetan.
Aber hat nicht die Realität diese skeptische Betrachtung
schon überholt?
Ich denke ja, und glaube wir durchleben gerade eine Hoch-Zeit der Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit.
Ich denke ja, und glaube wir durchleben gerade eine Hoch-Zeit der Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit.
Aber halten wir erst mal fest: eine gewisse europäische
Öffentlichkeit gibt es schon. Es gibt
sie in den Netzwerken von Kultur, Kunst, Sport, Film, Pop Music, Mode und
natürlich Wirtschaft, oft schon als Teil einer globalen Öffentlichkeit. Man
denke nur an die Champions League, den Eurovision Song Contest, die Venice
Bienale, die Berlinale, die Milan Fashion Show und natürlich alle die
tagtäglichen Wirtschafts-und Handelsverbindungen, europäischen Firmenzusammenschlüssen
und der Wettbewerb um europäische Marktanteile.
Und die Medien agieren in diesen Bereichen auch schon als die oben genannten
Relaisstationen. Beispiel sind die FT und der Economist, aber vor allem auch
die große Anzahl von Fachmedien, die als eine Art Franchise, sozusagen im
Großeinkauf Inhalte produzieren und diese dann auf die nationalen Märkte und in
nationalen Sprachen vertreiben, wie z.B. Vogue, Elle, Helo, Playboy, Comics,
Computer Magazine. Wie groß der Einfluss dieser Medien auf die Bildung einer
europäischen Öffentlichkeit ist, kann man schwer schätzen, aber in jedem Fall
ist er z.Z. im Entertainment und Business Bereich größer als in der Politik.
Obwohl die Schaffung der EU eines der kreativsten und
erfolgreichsten Politikprojekte überhaupt war, hatte Politik in den letzten 60
Jahren kaum einen Beitrag zur Bildung einer europäischen Öffentlichkeit geleistet.
Europa war erfolgreich und langweilig. Aber in den letzten vier Jahren war Europa für einen Großteil der Titelgeschichten in europäischen Medien verantwortlich. Grund war nicht die 60ig jährige Friedens- und Wohlstandsgeschichte, sondern die schwere ökonomische und Identitätskrise der letzten Jahre. Wie schwierig und ‚messy‘ die Krisenbewältigung bisher auch immer war (und es sicher noch nicht vorbei), sie hatte einen positiven Nebeneffekt; Die Krise war und ist ein Katalysator für die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit im Habermaschen Sinne.
Die Krise hat fast ganz Europa gleichzeitig erfasst und
durch die europäische Währungsunion sind die Mitgliedstaaten gezwungen,
gemeinsame Lösungen zu finden. Das führt
dazu, dass die selben Themen zeitgleich in Europa diskutiert werden, dass sich
Kommunikationsflüsse bilden, synthetisiert werden und sich themenspezifisch
gebündelte öffentliche Meinungen bilden (also genau das was Habermas als
Öffentlichkeit beschreibt), zu Themen wie Austerität, Jugendarbeitslosigkeit,
Steueroasen, Bankerboni und Datensicherheit. Das ist nicht immer nett, aber es
sind echte Debatten mit kontroversen und starken Meinungen von echten Personen,
nicht nur Propaganda für oder gegen Europa.
Zugegeben, noch werden diese Themen großenteils in
nationalen Medien und Sprachen diskutiert, aber die Themensetzung und Argumentation
laufen parallel und je nach politischer Ausrichtung auch ähnlich und
koordiniert. Wir sollten diese nationale Debatten über europäische Politik
begrüßen als Zwischenschritt zu einer sich entwickelnden supranationalen
europäischen Öffentlichkeit. Denn, neben der Krise gibt es noch zwei Katalysatoren, die eine europäische Öffentlichkeit fördern: der Umbruch der Medienbranche und neue Technologien.
Die Medien spielen schon jetzt eine wichtige Rolle als Relaistationen einer sich entwickelnden europäischen Öffentlichkeit (siehe oben). Die Ist-Situation ist aber hier weniger relevant als das was sich gerade entwickelt. Die Medienbranche befindet sich in einem revolutionären wirtschaftlichen und technologischen Umbruch und es ist dieser Umbruch, der ein weiterer Katalysator für eine neue europäische Öffentlichkeit sein wird.
Alte und neue Medienhäuser suchen und testen neue Geschäftsmodellen
um im Internetzeitalter mit Medieninhalten Geld zu verdienen. Sicher ist, dass
Papier und die dazugehörigen Vertriebswege/kosten kaum noch eine Rolle spielen
werden. Neben Paywalls, effektiver Online Werbung, Data Harvesting und
Kuratierung von Nutzer-generierten Inhalten ist die Erschließung neuer geographischer
Märkte eine Option, nicht zuletzt weil die Druck- und Vertriebskosten fast
wegfallen. Europa als supranationaler Medienmarkt wird immer relevanter, und
warum auch nicht. Deshalb wird die Suche nach der Erschließung des europäischen
Medienmarktes zu einem Katalysator für die europäische Öffentlichkeit werden.
Bisher haben Versuche europäische Medien zu etablieren auch
deshalb nicht funktioniert, weil es noch eine Sprachbarriere beim Medienkonsum
gibt. Englisch funktioniert als Mediensprache, aber nur für eine kleine Gruppe
von Medienkonsumenten. Das Sprachproblem wird aber in den nächsten Jahren
irrelevant werden da neue Technologien eine sofortige Qualitätsübersetzung von
Medieninhalten möglich macht. Schon jetzt kann man mit Google Translate
Webinhalte in anderen Sprachen gut lesen. Bald wird jeder auch die FAZ in Spanisch oder English
lesen können. Oder aber neue europäische Medien, die sofort pan-europäisch
konzipiert, kuratiert und vertrieben werden, online und in deiner Sprache. Der
Umbruch in der Medienlandschaft und neue Technologien können europäische
Medienformate schaffen, die mit Habermas, themenspezifisch
gebündelten öffentlichen Meinungen
verdichten‘.
Bei Medien und Technologie kann
man optimistisch sein, hier werden sich der Markt und die Kreativität durchsetzen.
Bei der Politik, müssen wir dran
bleiben, weil die Krise irgendwann vorbei sein und Europa als Krisenthema
hoffentlich von den Titelseiten verschwinden wird. Aber die uns verbindenden
Themen werden bleiben, ob europäische Wirtschaftsregierung, Budgethoheit des Parlaments
oder europäische Steuern auf Finanztransaktionen.
Die nächsten 9
Monate bis zur Europawahl im Mai 2014 bieten dafür eine entscheidende Chance.
Voraussetzung dafür ist, dass die Parteien echte europäische Wahlkämpfe führen
mit Spitzenkandidaten und klaren politischen Forderungen, die nur auf
europäischer Ebene umgesetzt werden können. Die Parteien, die dann die Wahlen
gewonnen haben müssen den neuen Kommissionspräsidenten stellen und dessen
Kabinett; genauso, wie es in einer parlamentarischen Demokratie eigentlich die
Norm ist. Eine Politisierung und Demokratisierung der Europawahl ist die
Voraussetzung dafür, dass die Wahlen überhaupt von den Bürgern ernst genommen
werden. Wenn der Bürger aber tatsächlich
entscheiden kann, wer die europäische Regierung stellt, wird europäische Politik spannend, für die
Bürger aber auch gerade für die Politiker. Sollten die Europawahlen nicht den beschriebenen Effekt einer europäischen politischen Öffentlichkeit haben und sollte die Krise vielleicht bald zu Ende gehender, müssen wir die europäische Öffentlichkeit weiter über Fußball, Pop, Film und Playboy bauen.
P.S. Dies ist mein Redebeitrag auf dem Alpbach Forum 2013, der auch Basis für einen kürzere Artikel im European ist http://de.theeuropean.eu/andre-wilkens--3/7854-europaeische-oeffentlichkeit-in-der-bluetezeit